MIT.Blog: Wovon wir ausgehen

Wie ist der Stand der Forschung zum Thema Textqualität und interaktionsorientiertes Schreiben in digitalen Medien?

Seitdem das Smartphone unser täglicher Begleiter im Alltag geworden ist, beschäftigen sich Journalisten, Wissenschaftler und Lehrer mit der Frage, ob und wie sich der Austausch über Instant-Messaging-Dienste auf die Lese- und Schreibfähigkeit auswirkt. In den Medien wird stellenweise pessimistisch in die Zukunft geschaut und etwa von einer „Apokalypse der deutschen Sprache“ (FocusOnline) gesprochen. Die sprachwissenschaftliche Forschung wird im öffentlichen Diskurs häufig so dargestellt, als betone sie (wenn überhaupt) nur die positiven Veränderungen, die der sprachliche Wandel mit sich bringt. Dürscheid und Frick (2016: 109) betonen in ihrem Buch Schreiben digital, dass sich dieser Eindruck bei genauerem Hinsehen nicht bestätigt, denn weder ist „die Haltung der Öffentlichkeit durchweg besorgt-pessimistisch [noch] die der Sprachwissenschaft durchweg beschreibend-optimistisch“.

Doch wie sieht die Forschungslage zum Thema tatsächlich aus? Welche Studien untersuchen welche Aspekte? Kurz gefragt: wovon gehen wir in unserem Projekt aus?

Im Folgenden soll ein kleiner Forschungsüberblick genau diese Fragen aufgreifen und darlegen, zu welchen Erkenntnissen die Linguistik bis dato gekommen ist.

Interesse an Textqualität ist nicht neu

Mit der Frage, wie und nach welchen Kriterien sich Texte bewerten lassen, beschäftigt man sich in der Textlinguistik schon seit geraumer Zeit. Mit dem Zürcher Textanalyseraster haben die Linguisten Nussbaumer und Sieber (1994) „eine systematische Zusammenstellung von einzelnen Fragen an einen Text“ vorgelegt (Sieber 2008). Das Modell entstand auf Basis von Schülertexten und orientiert sich daher an handschriftlich verfassten Aufsätzen. Auch wenn seit der Entwicklung des Modells fast 25 Jahre vergangen sind, lohnt es sich, einige Kriterien für die Betrachtung von digitalen Texten heranzuziehen.

Aktuelle Überblicksstudie zum Thema

Erst im letzten Jahr hat es sich der Wissenschaftler Dmitri Zebroff von der Simon Fraser University in Kanada zur Aufgabe gemacht, eine Überblicksstudie zum Thema Text Messaging und Lese- und Schreibfähigkeiten zu erstellen. Dabei unterscheidet der Autor zwischen Studien zur Berichterstattung in den Medien zum Thema und empirischen Studien, die er weiter in qualitative, quantitative und von Lehrern durchgeführte Umfragen untergliedert. Hauptsächlich für die quantitativen Untersuchungen interessiert sich Zebroff. Dabei beleuchtet er sowohl Studien zu typischen Phänomenen der SMS-Sprache (z.B. den Gebrauch von Abkürzungen) als auch Untersuchungen zu den Auswirkungen von vermehrtem Instant Messaging auf die Lese- und Schreibfähigkeit. Insgesamt kommt Zebroff zu dem Schluss, dass quantitative Studien sehr heterogene Ergebnisse liefern – oftmals zeigen sich auch gar keine Effekte.

SMS-Austausch beeinflusst Lese- und Schreibkompetenz bei Kindern nicht negativ

Eine Studie von Wood und Kollegen untersucht etwa den Einfluss von SMS- Kommunikation auf die Lese- und Schreibfähigkeiten von 9 bis 10-jährigen Kindern. Die Teilnehmer waren vor Studienbeginn noch nicht im Besitz von mobilen Telefonen. Die Interventionsgruppe erhielt an Wochenenden und während der Ferien ein SMS-fähiges Handy. Während der Testphase wurden keine Unterschiede zwischen den Gruppen in Bezug auf die Alphabetisierung festgestellt. Innerhalb der Interventionsgruppe gab es jedoch Anzeichen dafür, dass die Verwendung von Abkürzungen mit Fortschritten der Schüler zusammenhängen. Die Ergebnisse der Studie legen nah, dass der SMS-Austausch den Erwerb der Lese- und Schreibkompetenz in der betreffenden Altersgruppe somit nicht negativ beeinflusst.

Die Fragestellung ist entscheidend

Die Untersuchung von Rosen et al. beschäftigt sich damit, ob der Gebrauch von sogenannten „Textisms“ (Wörter und Abkürzungen, die typischerweise in SMS-Nachrichten verwendet werden) sich auf die Qualität von formalen sowie informellen Texten auswirkt. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass der Einfluss von „Textisms“ je nach Formalität des Textes verschieden ist. Der Gebrauch wirkt sich negativ auf formale Briefe, jedoch positiv auf informelles Schreiben aus. Variablen, die zusätzlich eine Rolle spielen sind Geschlecht sowie der Bildungsgrad der Versuchspersonen. Die Studie zeigt deutlich, dass die Ergebnisse stark von der Fragestellung bzw. den Variablen abhängen, die sich die Forscher anschauen.

Kategorien für „Chatsprache“

Eine interessante Arbeit legt auch die Forschergruppe um Connie K. Varnhagen vor, die Konversationen von Jugendlichen in Instant Messengern untersucht hat. Die Wissenschaftler haben es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, Kategorien für typische Phänomene, die in den Chatverläufen vorkamen, zu erstellen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Rechtschreibfähigkeit mit wenigen Ausnahmen nicht mit dem Gebrauch von typischer „Chatsprache“ in Verbindung steht.

Komplexität und Schnelllebigkeit als Herausforderungen

Schon die vorgestellten Studien zeigen, dass die Herangehensweisen an eine derart komplexe Fragestellung sehr unterschiedlich ausfallen. Noch dazu wandelt sich die Sprache in digitalen Medien rasend schnell, sodass Studien von vor 10 Jahren in der heutigen Zeit zu ganz anderen Ergebnissen kommen können. Ein Meilenstein wäre es schon, Kategorien zu finden, durch die digitale Texte überhaupt bewertet werden können. Denn sicherlich spielen nicht nur Rechtschreibung oder Grammatik eine Rolle.

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