Lesekompetenz deutscher Jugendlicher bei digitalen Texten deutlich schlechter als bei gedruckten
Im Frühjahr 2018 wird mit der nächsten PISA-Erhebung zum dritten Mal ein umfassender Test der Lesekompetenz fünfzehnjähriger Schülerinnen und Schüler weltweit durchgeführt. Die Lesekompetenz wird dabei auch an digitalen Texten getestet.
Bereits im Mai 2017 veröffentlichten Johannes Naumann und Christine Sälzer in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (2017), 20, 585-603 die Studie „Digital reading proficiency in German 15-year olds: Evidence from PISA 2012.“, die, wie der Titel schon sagt, auf dem Pisa-Test aus dem Jahr 2012 basiert. Während die Lesekompetenz deutscher Jugendlicher hier für gedruckte Texte überdurchschnittlich war, lag die Lesekompetenz bei digitalen Texten im OECD-Durchschnitt und ist damit deutlich niedriger als die Performanz deutscher 15-jähriger Schüler/innen beim Lesen gedruckter Texte.
Die Fähigkeiten, die beim Lesen digitaler Texte helfen, sind laut Studie die folgenden: grundlegende Computerkenntnisse, Schnelligkeit und Genauigkeit, Erkennen und Nutzen von Hyperlinks, Kopieren und Einfügen von Text, Navigieren in nicht-linear zu lesenden Texten, Auswahl und Bewertung von Textquellen und –informationen sowie die Kenntnis medienspezifischer Text-Genres.
Untersucht wurden die Zusammenhänge der Lesekompetenz mit soziodemografischen Variablen wie Gender, sozioökonomischer Status, Migrationshintergrund sowie Zugang, Nutzung und Einstellung zu Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT). Bisherige Studien zeigten bereits, dass Mädchen in puncto Lesekompetenz einen Vorsprung gegenüber den Jungen haben. In der Pisa-Studie 2015 wurde erstmals darauf hingewiesen, dass Jungen in Deutschland möglicherweise mehr Freude am digitalen Lesen haben als Mädchen, was zu der Verringerung des Geschlechterunterschieds in der Lesekompetenz geführt haben könnte.
Schlechte digitale Lesekompetenz durch negative Einstellung zum WWW und fehlende schulische Anleitung
Die Ergebnisse, die auf der Pisa-Studie 2012 basieren, legen die Vermutung nahe, dass die schlechtere Lesekompetenz bei digitalen Texten nicht am unzureichenden Zugang der Jugendlichen zu Informations- und Kommunikationstechnologien liegt. Vielmehr zeigen die Ergebnisse zum einen eine Verbindung schlechter Lesekompetenz bei digitalen Texten und negativer Einstellung der Jugendlichen zu Informations- und Kommunikaltionstechnologien. Das heißt vor allem die Jugendlichen, die Informations- und Kommunikaltionstechnologien für unkontrollierbar und unverlässlich hielten, wiesen eine schlechtere digitale Lesekompetenz auf.
Zum anderen beherrschten viele Jugendliche nicht die speziellen Techniken, die für digitales Lesen erforderlich sind. Dies, so legt die Studie nahe, könnte daran liegen, dass es in der Schule nicht ausreichend gelehrt wird. Nur 29% der deutschen Lehrer würden ihre Schüler lehren, Online-Texte auf Glaubwürdigkeit zu überprüfen.
Gute Leser/innen sind auch bei digitalen Texten im Vorteil
Weitere, aus der Studie von 2012, gewonnene Ergebnisse, die jetzt in der Fachzeitschrift Computers in Human Behavior (vol 78, January 2018, p.223-234) veröffentlicht wurden, belegen, dass 15-Jährige Suchmaschinenergebnisse generell besser auf Relevanz und Glaubwürdigkeit überprüfen können, wenn sie versierte Leserinnen und Leser sind. Schüler/innen mit geringen Lesefähigkeiten laufen auch in der digitalen Welt Gefahr, abgehängt zu werden.
Verschiedene Teil-Prozesse des Lesens sind, laut Studie, von Bedeutung für das Filtern der Ergebnislisten: Das Erkennen einzelner Wörter (Wort-Ebene), das sinnvolle Verknüpfen von Wörtern (Satz-Ebene) und das Verständnis ganzer Passagen (Text-Ebene). Suchmaschinen treffen eine erste Auswahl bei der Recherche, aber der Leser/die Leserin muss auf der Grundlage von Relevanz und Glaubwürdigkeit eine Feinauswahl treffen. Dabei wird unterschieden zwischen dem eher heuristischen Überfliegen der Suchergebnisse nach passenden Treffern und dem genaueren, systematischen Durchgehen der Einträge.
Scannen und schnelles Prüfen von Links sind wichtig beim Lesen digitaler Texte
Gute Lesefähigkeiten auf der Wort- und Satzebene sind sowohl beim Scannen nach Schlagwörtern als auch dem schnellen Treffen von Entscheidungen bei der Auswahl der Links von Vorteil. Links müssen schnell auf semantische und kontextuelle Hinweise überprüft werden. Gute Lesefähigkeiten auf der Textebene dagegen helfen beim Lesen von ausgewählten Texten und der Auswahl relevanter Textsegmente bzw. dem Verwerfen irrelevanter Informationen. Sie erhöhen die Chance, dass man sich in der gleichen Zeit weitere Seiten der Ergebnislisten oder die hinter den Treffern gelegenen Webseiten anschaut. Das hilft wiederum zusätzlich beim Bewerten der Ergebnisse. Aber auch Gedächtnis und Vorwissen spielen beim Filtern von Suchmaschinenergebnissen eine Rolle. Außerdem scheint die Postion des Ergebnisses die Leser und Leserinnen in ihrer Auswahl zu beeinflussen.
Den o.g. Veröffentlichungen zufolge haben Schüler und Schülerinnen mit sehr guter allgemeiner Lesekompetenz auch beim Lesen digitaler Texte einen deutlichen Vorsprung. Trotzdem ist die Lesekompetenz, die für digitale Texte erforderlich ist, eine andere als die für gedruckte Texte. Deshalb sollte auch das spezielle Lesen digitaler Texte an Schulen unterrichtet werden. Gleiches, so lässt sich vermuten, gilt auch für das Schreiben digitaler Texte, das neue Kompetenzen wie z.B. Linkerstellung, Bildbearbeitung, Einbinden von Schlagwörtern und suchmaschinenoptimierte Aufbereitung des Textes erforderlich macht.