„Die ganze Welt in einem Land“ – das ist das Werbemotto von Südafrika. Tatsächlich ist das Land nicht nur landschaftlich sehr vielfältig, sondern auch sprachlich. Mit dem Ende der Apartheid wurden elf Sprachen offiziell als Nationalsprachen anerkannt. Zur besseren Förderung der neuen Nationalsprachen wurde auch der Lexikografie eine wichtige Rolle bei der Verständigung und Entwicklung der afrikanischen Sprachen zu Bildungssprachen zugesprochen. So sind neben den großen Wörterbüchern mit langjähriger Tradition eine Vielzahl neuer Wörterbücher und Wörterbuchtypen entstanden, die ich während meines DFG-geförderten Forschungsaufenthalts in Stellenbosch kennenlernen konnte.
Sepedi, Sesotho, Setswana, siSwati, Tshivenḓa, Xitsonga, Afrikaans, English, isiNdebele, isiXhosaand isiZulu– so heißen die offiziellen Nationalsprachen Südafrikas. Das ist eine große Errungenschaft, denn die indigenen Sprachen Südafrikas wurden während der Apartheid systematisch unterdrückt. Zur besseren Förderung der neuen Nationalsprachen wurde schon 1995 das „Pan South African Language Board“ (PanSALB) gegründet. Dieses soll einen pluralistischen Ansatz für die Sprachenförderung verfolgen. So heißt es in der südafrikanischen Verfassung:
„5. A Pan South African Language Board established by national legislation must
(a) promote, and create conditions for, the development and use of – (i) all official languages; (ii) the Khoi, Nama and San languages; and (iii) sign language; and (b) promote and ensure respect for – (i) all languages commonly used by communities in South Africa, including German, Greek, Gujarati, Hindi, Portuguese, Telugu, Tamil and Urdu; and (ii) Arabic, Hebrew, Sanskrit and other languages used for religious purposes in South Africa.“ [1]
Lexikografie spielt eine wichtige Rolle
Dabei wird der Lexikografie, also den Wörterbüchern, eine wichtige Rolle bei der Verständigung und bei der Entwicklung der afrikanischen Sprachen zu Bildungssprachen zugesprochen:
„A multilingual country needs bilingual dictionaries to encourage speakers of these languages to learn each other’s language. Reliable dictionaries should educate the future generation to appreciate the language, custom and culture of others. […] You can fulfill your constitutional mandate by being part of ensuring that every child has access to a monolingual and bilingual dictionary in their mother tongue.”[2]
So sind neben den großen Wörterbüchern mit langjähriger Tradition wie dem „Woordeboek van die Afrikaanse Taal” (WAT) eine Vielzahl neuer Wörterbücher und Wörterbuchtypen entstanden, v.a. auch für Kinder. Diese sind gezielt dafür gemacht, den Kindern den Übergang in die Schule und damit meist zu Englisch als erster „Additional Language“ zu erleichtern. Leider ist es im Bildungssystem in Südafrika immer noch die Regel, dass Englisch und Afrikaans die dominierenden Bildungssprachen sind. Die indigenen Sprachen zu Bildungssprachen auszubauen, ist bislang noch nicht umfassend gelungen. Die staatliche Förderung setzt genau hier an und unterscheidet sich demnach auch deutlich von der staatlich geförderten Lexikografie bei uns: Während in Deutschland die Idee eines Nationalwörterbuchs oder die Dokumentation älterer Sprachstufen des Deutschen im Vordergrund der staatlichen Förderung stehen, sind es in Südafrika auch ganz praktische lexikografische Hilfsmittel, die in Zusammenarbeit von Verlagen und Wissenschaftler*innen erarbeitet werden.
Bilinguale Wörterbücher für die Schule
Viele der bilingualen Wörterbücher (vgl. Abb. 1) für die Schule bieten den Kindern sowohl Zugänge zum Wortschatz über sachliche Themengebiete wie „Tiere“ oder „Familie“ als auch eine alphabetische Liste der Stichwörter zum Grundwortschatz, die aber alle bebildert und somit auch für jüngere Schulkinder leichter aufzufinden sind (vgl. Abb. 2). Schulwörterbücher für höhere Schulstufen enthalten auch praktische Hilfen wie beispielsweise Richtlinien zum Verfassen eines offiziellen Briefs (vgl. Abb. 3).
Abb. 1: Bilinguale „Foundation Phase Dictionaries” von Longman.
Abb. 2: Ausschnitte aus dem Longman Foundation Phase Dictionary Afrikaans/English.
Abb. 3: Ausschnitt aus einem Schulwörterbuch English – Northern Soto.
Eine besonders schöne Idee zeigt meiner Meinung nach auch das Geschichtenwörterbuch („HAT storie woordeboek“), in dem zu einzelnen Wörtern kleine Geschichten erzählt werden, mit denen man Kindern die Bedeutung von Wörtern illustrieren kann (vgl. Abb. 4). Jeder, der sich viel mit Kindern unterhält, weiß, dass Kinder oft Fragen wie „Was bedeutet eigentlich x?“ stellen. In diesem Wörterbuch wird man zwar nicht immer Antworten zu der Frage nach einem bestimmten Wort finden. Es kann aber in der Grundschule oder auch in der Familie selbst als Lesebuch zur Hand genommen werden, um über Wortbedeutungen zu sprechen. Dieses Konzept – das Wörterbuch als Lesebuch – erinnert an die Vorrede von Jacob Grimm zum Deutschen Wörterbuch, in dem er die Szenerie einer in das Wörterbuch vertieften Familie entwirft:
„fände bei den leuten die einfache kost der heimischen sprache eingang, so könnte das wörterbuch zum hausbedarf, und mit verlangen, oft mit andacht gelesen werden. warum sollte sich nicht der vater ein paar wörter ausheben und sie abends mit den knaben durchgehend zugleich ihre sprachgabe prüfen und die eigne anfrischen?“ (Jacob Grimm, Vorrede zum Deutschen Wörterbuch, Sp. XIII, 1854.)
Diese Idee, die selbst für eine gebildete Familie im 19. Jahrhundert in Bezug auf das Deutsche Wörterbuch wohl eher abwegig ist, könnte mit einem solchen Geschichtenwörterbuch tatsächlich eine reale Anwendung finden, heute dann hoffentlich auch nicht nur für den männlichen Teil der Familie.
Abb. 4: Ausschnitte aus dem HAT-Geschichtenwörterbuch zu den Stichwörtern „aansteeklik (ansteckend)“ und „eensaam (einsam)“.
Neben den offiziellen Nationalsprachen werden auch Minderheitensprachen gefördert. Ein interessantes community-orientiertes Wörterbuchprojekt in diesem Zusammenhang ist z.B. das „Ju|‘hoan Children’s Picture Dictionary“, in dem einzelne Stichwörter jeweils in Ju’hoan, Englisch und Afrikaans aufgeführt sind und alle Stichwörter von den Kindern des Stammes selber illustriert wurden. Dass die Lexikografie hier durchaus auch den ganz praktischen Anwendungsfall im Blick hat, zeigt sich daran, dass das Wörterbuch in laminierter Ringbindung erhältlich ist, sodass es sich auch für den Unterricht unter freiem Himmel eignet.
Abb. 5: Ausschnitte aus dem „Ju|‘hoan Children’s Picture Dictionary“.
Vielfalt der Lexikografie Südafrikas
Insgesamt kann man an diesen Beispielen sehen, wie vielfältig die Lexikografie Südafrikas ist. Diese bunte Vielfalt kann eine Anregung dazu sein, auch hier in Deutschland über andere Arten von Wörterbüchern nachzudenken. Auch wenn Deutschland nicht so viele unterschiedliche Nationalsprachen hat, gibt es ja doch zahlreiche sprachliche Varietäten, die z.T. in regem Austausch mit der standardnahen Schriftsprache stehen. Solche Varietäten stärker einzubinden und praktischere, aber trotzdem wissenschaftlich fundierte Wörterbücher z.B. für die Schule zu entwickeln, wäre eine interessante Herausforderung. Ein solcher Ansatz würde vielleicht auch die Lexikografie selbst in einem anderen Licht erscheinen lassen und den verstaubten, trockenen Anstrich, der ihr gerne zugeschrieben wird, deutlich verändern.