Ein Gastbeitrag von Anja Koemstedt
Gelegentlich blogge ich: kleine Texte aller Arten, Fundstücke aus meinen Notizheften zu Skurilitäten des Alltags, Gedichtartiges, Prosaversatzstücke, für den Blog meiner Autorinnengruppe alphabettínen, im Wechsel mit meinen Kolleginnen.
da ist sie wieder: die blog-bedingte schizophrenie der autorin – setze ich, da dieser text hier online erscheint, einen link zu meinen alphabettínen? promoten will ich uns ja, wie überhaupt das netz eine einzige riesenpromotionmaschine ist, aber will ich, dass sich der leser kurz ausklinkt aus meinem gedankengang? dass er „abgelenkt“ wird, umgelenkt, weitergeleitet? im takt des schnelllebigen mediums, neue reize immer nur einen klick entfernt, ich ihm, diesem netz, also respekt zolle und seine möglichkeiten angemessen ausschöpfe in der annahme, der online-leser wolle digital bedient und verhätschelt werden, brauche gleich einem junkie immer neue reize? sonst klicke er sich weg, von mir und meinem schnöden analog-text, und käme nicht mehr wieder?
überspitzt vielleicht, aber solche überlegungen werfen mich jedes mal aus der bahn, wenn ich versuche, für den blog zu schreiben, LINK HIER SETZEN, JA ODER NEIN? wie weit spreize ich, plustere ich meinen blogtext auf? fülle ihn an mit lauter kleinen glitzersteinchen, die ich hier und da am wegesrand finde, mit einem songtitel zum beispiel, der meinen text akustisch illustrieren könnte: CLICK, link zu youtube, oder mit einem filmausschnitt, der mein geschriebenes wunderbar in bildern zu verdichten vermag: CLICK, link zu vimeo, das ist so einfach, so schnell mal eben eingefügt wie aus der hüfte geschossen, also los, CLICK:
ABER was machen diese texterweiterungen eigentlich mit meinem text? würde er sich auch ohne verlinkungen ins www behaupten können, monolithisch für sich stehen und zu ende gelesen werden, ohne fad, öde zu erscheinen? ganz old-school schwarz-auf-weiß dahin zu fließen, chronologisch, wie langweilig – dächte der leser nicht vielmehr ständig, „schade, hier hätte sie doch ein bild von…“ und „warum hat sie hier nicht auf die website…“ (vorsatz fürs neue jahr: „den blogleser mitdenken“ auf die not-to-do-liste setzen!)
Überwiegend aber schreibe ich literarisch, die Texte sind für den Druck bestimmt, Endziel: Bücherregal. Hier Blog – dort Literatur; bewege ich mich da schriftstellerisch, die Schrift stellend in unterschiedlichen Schreibsphären? Nutze ich vielleicht zwei unterschiedliche Sprach-, Sprech-, Denk-, Schreibstile, gar -systeme, ohne es zu merken?
Schreibe ich also anders, wenn ich für ein analoges Medium schreibe, für’s Papier, das ein Buch werden soll? Anders als beim Verfassen eines Blogtexts? Oder färbt das Digitale, so wie es unseren Alltag klammheimlich immer tiefer durchdringt, auch auf mein Schreiben unmerklich und flächendeckend ab, so dass ich schon längst einer ernüchtert-kühl-sachlichen, präzis-verknappt-knackigen online-speech erlegen bin,
gerne durchsetzt von englischen einsprengsel und immer in kleinschreibung, der erhöhten schreibgeschwindigkeit zuliebe, aber auch zuliebe eines geschmeidigeren erscheinungsbildes meines buchstabenblocks, die optik, die optik! „das auge isst mit“, das netz ist stets auf glänzende oberflächen aus, jede website will immer auch ein blickfang sein,
und diesen „online-Stil“ hier wie dort im Schreiben pflege, unbewusst ergo unreflektiert, gleichermaßen im digitalen wie im analogen Text. Ich tappe im Dunkeln, suche nach Antworten.
thinking… please wait… thinking… please wait… thinking… please wait…
(jaja, blog-bedingte schizophrenie – hier könnte ich nun, mit etwas digitalem handwerkszeug gerüstet, ein sich drehendes denkrädchen einbauen, „verlinken“, statt mir mühsam eine treffende beschreibung für ein sich drehendes denkrädchen zu überlegen (wer denkt da eigentlich mittlerweile, während sich das denkrädchen dreht, ich oder er, er, der computer?))
Und lande nach jeder Überlegung bei dem BUZZWORD unserer Zeit, dem DIGITALEN, im Schlepptau unfehlbar das ANALOGE. Dieser unumgänglich scheinende Gegensatz von digital und analog macht mich manchmal wütend, weil ihm tatsächlich nicht mehr zu entkommen ist. Immer müssen wir uns mit dieser Dichotomie herumschlagen, wollen wir die Wirklichkeit und uns in ihr beschreiben.
ich springe hier kurz ins netz, lasse mich schlau machen, von wo aus dieses gegensatzpaar seinen anfang genommen haben könnte. (damit Sie nicht selbst springen müssen, tue ich es – bevor Sie mir noch abhanden kommen, siehe oben.)
im folgenden jens schröter bitte (der 2004 eine analyse veröffentlicht hat, die im titel bereits alles sagt – DAS NETZ UND DIE VIRTUELLE REALTITÄT. ZUR SELBSTPROGRAMMIERUNG DER GESELLSCHAFT DURCH DIE UNIVERSELLE MASCHINE.)
er schreibt (an anderer stelle):
Die Unterscheidung analog/digital ist die medienhistorische und -theoretische Leitdifferenz der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und prägt die meisten mit der Mediengeschichte dieser Zeit befassten theoretischen Diskurse, aber auch soziologische oder philosophische Abhandlungen. Dabei wird die Unterscheidung oft ad hoc passend definiert oder eher diffus und implizit verwendet. Dann wird schlicht vorausgesetzt: Jede/r scheint zu wissen, was ‚analog‘ und ‚digital‘ bedeuten – und jede/r scheint voraussetzen zu können, dass jede/r andere es genauso sieht. (Jens Schröter, in: Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?)
und weiter steht dort zu lesen:
Der Umbruch von den analogen zu den digitalen Medien (…) wird oft als welthistorische Zäsur verstanden. Er erscheint als Einschnitt, dessen Bedeutung vermeintlich nur an dem Auftauchen der analogen Medien im 19. Jahrhundert, dem des Buchdrucks oder gar dem der Schrift gemessen werden kann. Obwohl vielerorts Einigkeit über die fundamentale Bedeutung dieser Zäsur besteht, wird sie in verschiedenen (…) Studien sehr verschieden verstanden, akzentuiert und gewichtet – ganz zu schweigen von der Frage, wann genau der Umbruch angesetzt wird: Sind die Einführung der Null durch die Araber ins Abendland im 12. Jahrhundert oder Leibniz’ Binärkalkül des 17. Jahrhunderts als Vorläufer zu nennen?
die einführung der null ins abendland? durch die araber? wo stünde jetzt wohl unsere „abendländische kultur“, hätten uns die araber (ogottogott) nicht die null gebracht? wäre diese null an einer grenzmauer zerschellt wie ein rohes ei, nicht auszumalen, wir säßen noch krumm und gebeugt vor unseren taschenrechnern (ohne null) und versuchten uns selbst an der steuererklärung, verzettelt zwischen etlichen graugrünen papierbögen, die stumm drohend vom schreibtisch aus das gesamte büro beherrschen… doch ich verliere mich an die null, verliere den textfaden… das netz, das netz…
Es ging um die Zäsur, den Umkipppunkt vom analogen ins digitale Sein.
stimmt, jens schröter bitte:
Oder sind die Fourieranalyse, die Boole’sche Logik, Babbages (zu seiner Zeit nicht gebaute) Difference Engine
(bitte waaas? aber schlagen Sie doch selbst im WIKI nach – ich muss den textfluss im auge behalten, leidige autorenpflicht),
die Telegraphien des 19. Jahrhunderts die eigentlichen Vorläufer? Oder sind die Erfindung des Flip-Flops 1919 und/oder die Entwicklung sowohl der analogen wie der – bald auf der Basis der Halbleitertechnologie operierenden – digitalen Computer Mitte des 20. Jahrhundert die Bedingungen für den Einschnitt? Oder muss vielmehr die Diffusion ‚digitaler Neuer Medien‘ in verschiedenste diskursive Praktiken bis in den gewöhnlichen Alltag an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert als Einsatzpunkt für den Umbruch von analog zu digital benannt werden? Oder existierte die Dichotomie schon seit Anbeginn der Schrift bzw. der Sprache, insofern diese (etwa im Unterschied zu Bildern) auf diskreten Zeichenrepertoires beruht – ein Gedanke, der allerdings wohl erst im späten 20. Jahrhundert überhaupt formuliert werden konnte?
(das habe ich gefunden unter: https://dokumentix.ub.uni-siegen.de/opus/volltexte/2009/381/pdf/AnalogDigital.pdf)
spätestens hier, just an dieser stelle, nach so viel trockener theorie, hätte ich als bloggerin das bedürfnis, ein bild oder gar ein kleines filmchen einzufügen, als lockerungsübung – the show must go on, der leser will bei der stange gehalten werden – ABER NEIN, es geht weiter im text, im REINEN text:
Noch einmal kurz von meiner Perspektive einer Schreibenden aus betrachtet, die Texte herstellt mit literarischem Anspruch:
Als Autorin von Prosa, Lyrik, Feature-Manuskripten bediene ich (im Ergebnis) das klar definierte Schwarz-auf-Weiß-auf-Papier, ich gieße meine Gedanken in Schrift, und die Schrift baut beim Schreiben vor meinen Augen ein lineares Gebilde, das es chronologisch zu lesen gilt, wobei ich nach Abschluss des Schreibprozesses dieses Gebilde (aus)gedruckt in der Hand halte, es befindet sich voll und ganz in meinem Haus/ auf meinem Schreibtisch/ in meinem Bett, ist jedenfalls räumlich anwesend (selbst als E-Book ist es das, nur reichlich zweidimensional) – ich könnte es zum Beispiel an die Wand werfen.
Als Bloggerin schreibe ich zwar auch, erzeuge auch Schrift, lasse sie jedoch am Ende des Schreibprozesses fliegen – als frei flottierende Daten in einem digitalen Medium (im Blog), das „nur“ im Virtuellen existiert, der entstandene Blog-Text ist letztlich ein rein digitales Gebilde. Mein Text „geht online“, geht Gassi ohne Leine, sein Herrchen (Dämchen!) guckt staunend vor dem Monitor zu, wie er sich seinen Weg bahnt durch die Kanäle, er sich verzweigt im Netz, gerne geteilt wird im günstigsten Fall, oder unkommentiert einfach untergeht. Und ich schaue live dabei zu.
Der Text, einmal im Netz, ist vernetzt, will sagen nach allen Seiten hin offen (ins Netz) und mit ihm verbunden über diverse Flieh- und Anziehungskräfte. Er ist nichts Festgefügtes, kein Textblock mehr, sondern löchrig, keine Mauer aus Buchstaben mehr, sondern fransig, selbst in seinem Textinnern franst er aus (oder hat er gar kein eigentliches Inneres mehr?), und jederzeit kann der Leser ihn aus den bekannten Gründen verlassen
(fällt in eines der textlöcher)
– vielleicht weil
- ein Link, schlau platziert, ihn weiterlenkt an einen anderen Netzort
- eine Werbung, die seitlich aufpoppt, ihn zum Anklicken verführt
- eine ankommende Email seine Aufmerksamkeit gewinnt
- er plötzlich beginnt, über die Autorin des Blogtextes Nachforschungen anzustellen
- etc… der Abschweifungen sind viele
Diese Durchlässigkeit (oder: Weltoffenheit, wörtlich verstanden, könnte man beinahe behaupten) eines Blogtextes ist aber kein Manko, sondern sein Wesensmerkmal.
Noch besser gefällt mir die Mutter-Metapher zur Beschreibung eines gelungenen Blogtextes: indem dieser sich ausdehnt, ausweitet auf sicht- und hörbare Medien, sich also optische und akustische Reize/Welten einverleibt, wird er mehrdimensional, körperlich – wie ein Pflegemutter nimmt er sich frei flottierender artfremder Daten an, fischt sie aus den Weiten des virtuellen Alls und bindet sie an sich, nimmt sie unter seine Fittiche. Der gute Online-Muttertext – er tut das nicht ganz uneigennützig natürlich, er schmückt sich ja mit seinen Findlingen.
Wer bloggt, komponiert, folgere ich daraus – ein mehrstimmiges (Kunst)Stück, und wer bloggt, ist aufgrund der Vernetztheit seines Arbeitsmaterials nie allein.
Wer an einem Buch schreibt, arbeitet in der Regel offline. Unvernetzt. In der IT-Fachsprache ist ein unverbundener Computer, der nicht Teil eines Netzwerks ist, ein Stand-Alone.
Legen wir die Betonung ausnahmsweise nicht auf das „allein“, bedienen wir nicht den Topos des einsamen Künstlers, der kreativ nur in völliger Weltabgewandtheit arbeiten kann, dann sehe ich mich durchaus als solch einen Stand-alone. Für analoge Formate zu schreiben, heißt stand alone zu sein. Dieser Gedanke gefällt mir.
wikipedia sagt:
Mit dem englischen Begriff Stand-Alone (deutsch alleine stehend) bezeichnet man Geräte, Hardware oder Software, die eigenständig, ohne weitere Zusatzgeräte, ihre Funktion erfüllen können.
zu finden unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Stand-Alone
Und wenn ich blogge, schreibe ich an der langen Leine des Internets, hänge mich an ein paar Zusatzgeräte an, blase und pimpe meine Textkörper ein wenig auf wie lustig-glitzernde Luftballons, und lasse sie dann fliegen. Mögen sie landen oder nicht und wo-auch-immer enden oder nicht (hat das Internet ein Ende?) – das liegt außerhalb meines Wahrnehmungshorizonts.
Als Betthupferl, zur Versüßung am Ende eines lang geratenen Blogtextes hier ein weiterer zur Lektüre-Empfehlung, es ist ein solch bunt-glitzernder Luftballon
(grün, genau genommen),
mir jedenfalls ein leuchtendes Beispiel für einen gelungenen Online-Text, zu finden auf vogelsfutter.de, dem KULTURBLOG VON FRAU VOGEL.
Lesen Sie „Assoziative Gedankenhopping zu Grün“, bis Ihnen grün vor Augen wird, denn grüner lässt sich ein Text kaum gestalten – eine gelungene Komposition diverser Sinnenbereiche, die nur ein digitaler Text so eindrucksstark in sich vereinen kann.
go green >>>