Was sind gute Texte und was sind schlechte Texte im Netz? Es ging um die unkonventionelle Form, die Zielgruppe, um Suchmaschinenoptimierung und Angemessenheit von Online-Texten. Anlässlich unseres Expertenworkshops zum Thema „Wie misst man Textqualität im digitalen Zeitalter?“ präsentierten am 19. Juni 2018 fünf Social-Media-Expertinnen (wegen Krankheit in etwas anderer Besetzung) Beispiele gelungener oder misslungener Online-Texte und stellten sie zur Diskussion. Sie waren insbesondere gebeten worden, neuere Qualitäten von Online-Texten zu benennen, die für Printtexte noch nicht von Belang waren.
Die unkonventionelle Form des Blogposts
Carina Frey, selbst ein digital native, studierte Medienwissenschaft und Theaterwissenschaft. Seit anderthalb Jahren arbeitet sie in der Marketingabteilung des Nationaltheaters Mannheim im Bereich Online-Kommunikation. Sie ist zuständig für die Website, den Facebook- und Instagram-Kanal, sowie für die Organisation des jährlichen Theaterfestes.
Carina Freys Beispieltext war „Diese 30 Gedanken fassen den ESC perfekt zusammen“ von Selma Soronjic auf Bento, einem blogähnlichen, jungen Angebot von Spiegel-Online. Carina Frey hatte den Text zunächst als mäßiges Beispiel für einen Online-Text mitbringen wollen, dann aber ihre Meinung darüber geändert.
Der Text habe eine unkonventionelle Form und steche aus den Bento-Texten heraus. Es scheint, als wären Twitterkommentare zum Eurovision Song Contest (ESC) im Blog als Aufzählung zusammengefasst worden. Die Aktualität der Twitterkommentare wird hier im Blog in der Retrospektive betrachtet. Gefallen haben Frey der glossenähnliche Einstieg und diese ungewöhnliche Aufzählungsform. Hervorstechend seien auch die Ironie der Autorin, mit der sie sich z.B. selber lobt, oder die Verschriftlichung der ESC-Melodie, die die Leser/innen das Ereignis erneut miterleben lasse. Manchmal ähneln die Kommentare Tagebucheinträgen und geben Informationen über die Autorin selbst, wie z.B., dass ihr Essen eingetroffen sei. Die Informationen erscheinen zunächst irrelevant, verweisen aber, in teils ironischer Form, auf ein persönliches Erleben während der Veranstaltung.
Doch obwohl der Online-Text durch seine unkonventionelle Form besteche und sich authentisch auf die Veranstaltung des ESC in seinem Kontext aus Klatsch und Tratsch beziehe, wurde der Text nicht oft geteilt und es gab keine Reaktionen. Das könnte daran liegen, so Frey, dass er aus den Bento-Texten heraussteche, und die Leseerwartung deshalb enttäuscht werde. Irreführend wirken auch die fettgedruckten Begriffe, die kaum inhaltliche Bezüge aufweisen und den Lesefluss zum Stocken bringen.
Patrick Schmidt-Kühnle ist Diplom-Biologe und PR-Berater. Seit 2010 ist er bei der BASF für die Social-Media-Aktivitäten des Unternehmens auf globaler Ebene verantwortlich. Zu seinem Aufgabengebiet zählen neben der Redaktion und dem Community Management der zentralen Unternehmenskanäle vor allem die Steuerung und Weiterentwicklung der Aktivitäten des Gesamtunternehmens in den sozialen Netzwerken.
In den Newsfeed der Leser/innen gelangen
Patrick Schmidt-Kühnle stellte Folien zu Social-Media-Posts beim Expertenworkshop vor, die er auch für Fortbildungen von BASF-Mitarbeiter/innen verwendet. Sein Unternehmen, das weltweit agiert, muss auch online in vielen Sprachen präsent sein. Den perfekten Post gebe es nicht, so Schmidt-Kühnle.
Wichtig sei die Zielgruppe und die Plattform, sowie die Sprache, über die diese Zielgruppe erreicht werden könne. SEO sei häufig gar nicht so wichtig, sondern vielmehr müsse man durch gute Inhalte in den Newsfeed der Kunden und Kundinnen hereinkommen. Auch der Absender sei hierbei relevant. So poste nicht immer das Unternehmen, sondern auch einzelne Kollegen/innen als Personen, deren Posts eher in den Newsfeed gelangen. Als Beispiel nannte er die Twitteraktivitäten zweier Vorstände. Authentizität sei hierbei gefordert, manchmal mit sachlich professioneller, manchmal mit persönlicher Note.
Für einen guten Post müsse immer über den eigentlichen Text des Posts hinausgedacht werden. Besonders erfolgreich seien Posts oder Tweets beispielsweise dann, wenn sie mit Bild oder Video versendet werden. Schlecht hingegen sei, wenn das Userprofil fehle, oder etwas geteilt würde, ohne eine eigene Position dazu einzunehmen. Ein kurzer knackiger Tweet sei gut, wenn er eine eigene Meinung und ein bis drei Hashtags beinhalte. Auf die Verbindung zu anderen Profilen sei zu achten. Immer schon müsse man über den einen Tweet hinausdenken und die ganze user/customer journey berücksichtigen. Wichtig sei es auch, verschiedene Plattformen zu verbinden und die richtigen Hashtags in die Konversationen einzubinden.
Vor allem auf die Vernetzung, insbesondere die persönliche Vernetzung mit den richtigen Partnern, sei zu achten sowie auf die Verlinkung der Website als Anker, denn sie sei das Rückgrat der Online-Kommunikation.
Texte für Suchmaschinen
Dr. Julia Schönborn studierte deutsche Philologie, Komparatistik und Romanistik und promovierte in Neuerer Deutscher Literatur. Seit 2016 ist sie freiberuflich tätig als Redakteurin, Texterin, Autorin, Vortragende und PR-Trainerin. Sie ist online aktiv als junaimnetz, unterstützt mit www.karmajob.de soziale Initiativen und gemeinnützige Organisationen bei der Öffentlichkeitsarbeit und gründete vor Kurzem mit einem Geschäftspartner die Kommunikationsagentur www.leading-edge.info.
Julia Schönborn brachte drei, ihrer Meinung nach mäßige, aber reichweitenstarke Texte als Beispieltexte mit. Der erste Text war eine Bastelanleitung für einen schrillen Adventskalender. Die Zielgruppe seien der Google-Suchrobot und 12- bis 13-jährige Mädchen. Beim Texten habe sich die Autorin zu sehr mit dieser Zielgruppe identifiziert. Eigentlich sei die Autorin aber eine Bloggerin, die Strategien verkaufe, wie man auf Instagram berühmt werden könne. Es handele sich hier um eine Mehrfachadressierung. Deshalb könne man einen solchen Text nicht mit klassischen Qualitätsaspekten bewerten.
Beim zweiten Text zur Blogkooperation sei nur an Algorithmen gedacht und zu viele Keywörter verwendet worden. Das Wort Blogkooperation werde so häufig wiederholt, dass die Kohärenz des Textes leide. Auch Bindestriche wurden zur besseren Lesbarkeit für die Suchmaschinen weggelassen.
Der dritte Text sei ein misslungener Versuch, anderen Online-Texter/innen zu zeigen, wie man es besser machen könne. Der Text sei zu lang und zu verschachtelt, es wurden sprachliche Memes aus Twitter verwendet, wie z.B. „Besonders wertvoll. Nicht.“ Der Grundsatz, dass in den ersten beiden Zeilen das Wichtigste stehen solle, wurde nicht berücksichtigt. In allen drei Beispielen wurden für die zu erreichenden Zielgruppen keine angemessenen Texte verfasst.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Erfüllen der Leseerwartung und die Angemessenheit des Textes für die Zielgruppe auch wichtige Qualitäten von Online-Texten sind. Wie vor allem die letzten drei Beispiele zeigten, ist bei der Textanalyse die Zielgruppe nicht immer klar zu bestimmen. Außerdem ist sowohl die Plattform von Bedeutung, auf der der Text erscheint, als auch die für den Text gewählte Sprache, mit der Leser/innen angesprochen werden. Der Absender muss authentisch wirken, eine eigene Meinung vertreten und sich gut vernetzen. Das Wichtigste muss ganz vorne im Text zu finden sein und es sollten nicht zu viele Keywörter verwendet werden. Diese Qualitäten wurden von den Social-Media-Experten als wesentlich für Online-Texte benannt.
In Kürze erscheint der zweite Teil des Blogposts „Gute Texte, schlechte Texte“ mit Beispieltexten von Karin Windt und Lia Gänzler.