Ratgeberliteratur für das Schreiben von Online-Texten boomt. In unserem Forschungsprojekt MIT.Qualität, mit der Forschungsfrage „Wie misst man Textqualität im digitalen Zeitalter?“, haben wir insgesamt zwölf aktuelle und populäre Schreibratgeber (siehe unten Literaturverzeichnis Schreibratgeber (PDF)) mit Hilfe des Zürcher Textanalyserasters untersucht. Darüber hinaus haben wir analysiert, welche weiteren Qualitäten, die im Zürcher Modell keine Erwähnung finden, für das Verfassen von Online-Texten empfohlen werden.
Auffallend ist, dass Qualitäten aus dem Zürcher Modell, wie etwa die sprachsystematische/orthographische Richtigkeit, aber auch die ästhetische Angemessenheit, nur noch wenig Erwähnung in der Ratgeberliteratur finden. So schreibt z.B. einer der Ratgeberautoren, Markus Cerenak:
„Du schreibst einen Artikel um Menschen weiterzuhelfen und nicht, um das Deutsch-Abi mit Auszeichnung zu bestehen.“ (Cerenak, 2016, S. 152)
Häufig wiederzufinden sind hingegen neuere Kategorien, wie z.B. Texte in Algorithmen und Timelines auffindbar machen, Schreiben für die Zielgruppe, Resonanz oder Schnelligkeit (siehe unten Kategorienraster Schreibratgeber (PDF)). In diesem Blogpost werde ich näher auf die weiteren Kategorien eingehen, die wir in der Ratgeberliteratur gefunden haben.
Ratgeberliteratur als Textsorte
Die Ratgeber weisen ähnliche Vertextungs- und Formulierungsmuster auf und gehören damit einer Textsorte an. Ihre Adressaten sind Blogger und Social-Media-Nutzerinnen, die mit mehr Erfolg online veröffentlichen möchten. Erfolgsversprechen und kommerzielles Interesse tragen die Ratgeber häufig bereits im Titel. Sie formulieren einen Praxisanspruch, einen Verständlichkeitsanspruch und einen Kompetenzanspruch, der auf Erfahrung und Introspektion beruht (Bergmann, Regina (2002) in: Gisela Brünner, Reinhard Fiedler und Walther Kindt (Hrsg.) S. 226-246, siehe unten Literaturverzeichnis Forschungsliteratur).
Auffallend war die Redundanz in den Ratgebern, wobei es einige wenige Ausnahmen gab. Die häufigen Wiederholungen ganzer Sätze oder sogar Abschnitte in unterschiedlichen Kapiteln lassen erkennen, dass die meisten Ratgeber eher zur kapitelweisen Nutzung gedacht sind und seltener ganz durchgelesen werden.
Weitere Kategorien
Schon Henning Lobin schrieb in Engelbarts Traum: „Mensch und Maschine, Schrift und Fläche, Ich und die Anderen – das sind die Formeln der digitalen Kultur.“ (Lobin, Engelbarts Traum, 2014, S. 97, siehe unten Literaturverzeichnis Forschungsliteratur). Diese Formeln der digitalen Kultur finden sich auch in unseren weiteren Kategorien wieder, die wir zu unserem Kategorienraster hinzugefügt haben.
Als zusätzliche Kategorien, die in der Ratgeberliteratur häufig als Qualitätsmerkmal für Online-Texte genannt wurden, konnten wir folgende ermitteln:
- Texte in Algorithmen und Timelines auffindbar machen
- mithilfe der Datenanalyse für die Zielgruppe schreiben
- Resonanz/Reichweite
- Interaktion
- Multimodalität
- Schnelligkeit
- Plattformspezifik
Viele Unterpunkte der hier genannten Kategorien lassen sich an das Zürcher Textanalyseraster anbinden, können doch auch die Zürcher Kategorien als „Spiegel dahinterliegender Fähigkeiten“ gelesen werden (Nussbaumer 1996, S.97, siehe unten Literaturverzeichnis Forschungsliteratur (PDF)). Im Rahmen zusätzlicher technischer Möglichkeiten beim Verfassen von Online-Texten, bekommen sie weitere Bedeutungsebenen. So findet sich im Zürcher Textanalyseraster z.B. die Kategorie „Nennung von Produzent und Rezipient“. Zwar lässt sich in diese Kategorie eintragen, dass Leser und Leserin direkt angesprochen und geduzt oder zum Feedback aufgefordert werden. Dass aber die Datenanalyse zum Leseverhalten in den Social Media Kanälen mittlerweile ein genaueres „Kennenlernen“ der Zielgruppe möglich macht, welches wiederum zur Grundlage der Texterstellung wird, lässt sich in dieser Kategorie nicht abbilden. Ebensowenig können wir in dieser Zürcher Kategorie die Möglichkeit zum Feedback über Likes oder Kommentare darstellen, über die Leser und Leserinnen Autoren und Autorinnen auch direkt Rückmeldung zum Text geben können. Wichtig ist dabei weniger, ob dieses genauere „Kennenlernen“ tatsächlich der Realität entspricht, als vielmehr die Sicherheit, mit der Autor/innen ihre Leser/innen genau zu kennen glauben. Diese Sicherheit macht sich im Verhältnis Autor/in – Leser/in bemerkbar. In den folgenden Abschnitten werden die Kategorien im Einzelnen behandelt.
1. Texte in Algorithmen und Timelines auffindbar machen
Als eine Qualität bei der Texterstellung nennen die Ratgeber insbesondere die Suchmaschinenoptimierung (search engine optimization, SEO), also das Bemühen, den Text in Suchmaschinen und Timelines auffindbar zu machen. Miriam Löffler, eine der Ratgeberautorinnen, hat das „hybrides Texten für User und Suchmaschinen“ (Löffler, 2014, S. 451) genannt. Ausgewählte Schlagwörter, URLs und Metatexte werden in die Texte integriert. Allerdings dürfe deren Verwendung nicht übertrieben werden, um die Lesbarkeit durch Menschen oder user weiterhin zu gewährleisten. Auch das regelmäßige Veröffentlichen ist für die SEO von Bedeutung.
2. Mit Hilfe der Datenanalyse für die Zielgruppe schreiben
Gleichzeitig wird die Auswertung von Daten zum Leseverhalten der Leser und Leserinnen immer wichtiger beim Schreiben von Online-Texten für die eigene Zielgruppe. Über die Datenanalyse bekommt der Autor, die Autorin eine indirekte Rückmeldung von den Lesern und Leserinnen. Auf dieser Basis wird eine Leser/innen-Persona erstellt, die Autor oder Autorin beim Schreiben vor Augen hat und für die sie schreiben. In der Ratgeberliteratur wird die große Sicherheit deutlich, mit der Autor oder Autorin von Online-Texten ihre Zielgruppe, ihre Leser/innen-Persona zu kennen meinen.
3. Resonanz und Reichweite
„If an infographic is published and no one shares it, did it even exist?“
Auch dieses Zitat von Brian Solis stammt aus einem der Ratgeber (zit. nach Schaefer, 2015, S. 43). Übertragen wir es auf Texte, so wird ein Online-Text erst dann zum „wirklichen“ Text, wenn er geteilt wird und dadurch eine gewisse Reichweite oder, mithilfe von Kommentaren, auch Resonanz bekommt.
Die Suchmaschinenoptimierung und das Schreiben für die Zielgruppe, über die man, wie oben erwähnt, Daten sammelt und analysiert, werden zur Grundlage für das Verfassen von Texten mit Reichweite und Resonanz. Auch die in der Ratgeberliteratur immer wieder erwähnten Ergebnisse des Eyetrackings, einer Methode mit der die Blickverläufe von Personen sichtbar gemacht werden können, fließen in die Ratschläge zum Verfassen von Online-Texten mit ein. Sie sollen die Präsenz des Textes im Netz sicherstellen. Sehr deutlich wird dabei, dass die technische Ebene, die meist verborgen, hinter den Texten existiert, auch qualitativ Einfluss auf das Verfassen von Online-Texten hat.
Call to action
Texte sollen, so empfehlen die Ratgeber, als innere Dialoge mit den Leser/innen geschrieben werden, also Fragen erzeugen und sie gleichzeitig beantworten. Der Text endet, auch dies ein häufig genannter Ratschlag in der Literatur, mit einem sogenannten call to action, einer Handlungsaufforderung, die zum Kommentar, zum Like oder auch zum Kauf durch den Leser, die Leserin überleiten soll. Das kommerzielle Interesse, mithilfe von Texten aus Leser/innen Kunden/innen zu machen, ist in der Ratgeberliteratur allgegenwärtig. Dies lässt sich vor allem anhand der häufigen Verwendung des Wortes „Mehrwert“, wie z.B. „mehrwertige Informationen“ (Mutschler/Eichfeld, 2016, S. 217), belegen. Gelingt es, den Leser/die Leserin zum Kommentar zu bewegen, erhält der Autor oder die Autorin auch eine direkte Rückmeldung zu seinem Text. Dann werden z.B. Nachfragen bei Verständnisschwierigkeiten und nachträgliche Erklärungen zum Text von Seiten des Autors/der Autorin möglich.
Social proof
“In the future, artists will get record deals because they have fans—not the other way around” (Taylor Swift) (http://time.com/2963804/taylor-swift-music-industry/ 17.07.2018)
Das Zitat von Taylor Swift in einem der Ratgeber (zit. von Schaefer, 2015, S. 97) soll auch die Veränderung in der Beziehung zwischen Leser/in und Autor/in verdeutlichen. Denn eine ähnliche Entwicklung wie sie Taylor Swift für Platten benennt, stellen die Ratgeber auch für Texte fest. Autor/innen brauchen ihre Leser/innen als „Fans“, um populär zu werden und ihre Texte auffindbar zu machen. Der sogenannte social proof, d.h. die angezeigte Anzahl der Follower oder Likes unter oder neben dem Text, werden in diesem Zusammenhang als wichtige Qualität genannt.
Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass das Teilen und die (emotionale) Teilhabe des Lesers /der Leserin notwendig und erwünscht sind. Die Texte müssen mithilfe von Social Media Buttons leicht teilbar sein.
Dass zwischen Autorin und Leserin eine besondere Verbindung hergestellt werden soll, das wird in der Ratgeberliteratur als wünschenswert beschrieben, denn es sind die Leser/innen, die Text und Autor populär machen. Dies spiegelt sich auch in der Sprache wieder, die in der Ratgeberliteratur empfohlenen wird. Durch Zitate wie „I have to give my audience everything.“ (Schaefer, 2015, S. 125) wird deutlich, dass Autor und Autorin sich und ihre Bedeutung für Leser/innen auch auf dieser Basis überhöhen.
Leser und Leserin sollen geduzt werden und ihnen wird häufig gedankt. Gewünscht wird eine leidenschaftliche, ich-fokussierte, persönliche und ehrliche Sprache, die auf sprachliche Elaboriertheit verzichtet. Diese Sprache ist das Angebot zur Identifikation von Leser und Leserin mit dem Autor oder der Autorin. Wie schon mehrfach in der Forschung erwähnt, gerät hier die Opposition von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in Bewegung (Storrer, 2012, Koch/Oesterreicher, 1994, siehe unten Literaturverzeichnis Forschungsliteratur (PDF)).
Scanbarkeit des Textes
Für Resonanz und Reichweite des Textes ist auch seine Scanbarkeit in der Ratgeberliteratur von großer Bedeutung. D.h. die optische Struktur des Textes soll ein leichtes Erfassen der Informationen in der Textfläche innerhalb von 10 Sekunden möglich machen. Als wichtig für die Scanbarkeit werden genannt:
- Überschriften, Bulletpoints, Zwischenüberschriften und kurze Absätze
- erwartbare Positionen für bestimmte Schaltflächen (Menü, Logo, Suchfunkton etc.)
- Auflockerung des Textes durch Bilder, Emoticons etc.
- wichtige Inhalte above the fold (Teil der Website, der gleich sichtbar ist)
4. Interaktion
Hashtags und Links
Die Ratgeberliteratur empfiehlt die Verwendung von Links zur Einbindung und von Hashtags zur Organisation von Inhalten und Menschen (Followern).
Links können als Textlinks, als graphische Links und in Form von Teasern verwendet werden. Sie dienen dem Einbinden von Fremdinhalten, von fehlenden oder zusätzlichen Informationen oder zur Linkbuildingstrategie, d.h. dem Verlinken mit Keyinfluencern und Freunden. Die Ratgeberliteratur empfiehlt, auf sprechende Links, mittels URL, zu achten, auf ein ausgewogenes Verhältnis ein- und ausgehender Links, sowie deren Einbettung in den Kontext. Hashtags werden im Netz als Index-System und für Kampagnen oder Veranstaltungen genutzt.
Moderation der Kommentare
„Kommentare zeigen, dass der Blog lebt“ (Cerenak, 2016, S. 159)
Das Anbieten der Kommentarfunktion, über die z.B. Blogtexte von Leser/innen kommentiert werden können, wird in der Ratgeberliteratur als Qualität genannt, durch die sich „lebende“ Blogtexte von Printtexten und ähnlichen Texten („leblose Wortwüste“, „Bleiwüste“, „Textwand“, „Textflut“) deutlich unterscheiden. Kommentare werden in den Ratgebern als Teil des sog. user generated content genannt , zusammen mit z.B. Rezensionen, dem Newsletter-Abo oder auch der Teilnahme an Umfragen. Schnelle Reaktion und ein gelungenes Beschwerdemanagement, d.h. den freundlichen Umgang auch mit negativen Kommentaren und das Löschen verletzender Kommentare, werden beim Umgang mit Kommentaren wichtig.
5. Multimodalität
Eine weitere Qualität, über die sich Online-Texte von Printtexten unterscheiden, ist die Multimodalität der Texte, die sich jedoch hauptsächlich auf Bilder bezieht. Die Ratgeberliteratur empfiehlt, keine Texte ohne Bilder zu veröffentlichen, zumal diese auch schlechter teilbar seien. Die Ausbildung von Qualitäten, wie z.B. das Erstellen von Fotos mit ungewöhnlichen Perspektiven, die Wahl von Motiv und Auflösung, sowie das Einbinden dieser Fotos in Texte, werden von der Ratgeberliteratur gefordert. Fotos sollten für die Veröffentlichung mit Alternativtext, Bildunterschrift, Titel und Beschreibung versehen werden. Audios finden so gut wie keine Erwähnung in der Ratgeberliteratur. Videos werden nur am Rande erwähnt.
6. Schnelligkeit
Die Aktualität von Information wird immer wichtiger. Dies wird auch in der Ratgeberliteratur häufig betont und auf vielen Ebenen deutlich gemacht.
Die Aktualität von Information ist oft sogar wichtiger als deren Qualität. (Mutschler/Eichfeld, 2016, S. 43)
Demgegenüber werden Themen wie z. B. die sprachliche Richtigkeit kaum noch erwähnt und, wenn überhaupt, wird auf Rechtschreibtools verwiesen. Schnelligkeit aber wird zu einer Qualität beim Verfassen von Online-Testen und soll , so die Empfehlung, beachtet werden in:
- Echtzeitaktualität
- schnellen Ladezeiten
- dem raschen Verfassen von Texten
- schnellen Antworten auf Kommentare
- dem mehrfachen Absetzen eines Tweets, um dem drohenden, schnellen Verschwinden aus der Timeline entgegenzuwirken
- der sekundengenauen Zeitangabe der Veröffentlichung
- der Angabe der Lesezeit über den Texten
7. Plattformspezifik
Auch die Ratgeberliteratur betont, dass nicht alle Online-Texte gleich gestaltet werden, sondern dass verschiedene Plattformen nach unterschiedlichen Texten verlangen. Die meisten Ratgeber beziehen sich auf Blogs. Ratschläge für andere Plattformen fallen dann allerdings wenig gehaltvoll aus.
- So wird für Facebook vor einer Vermischung von Privatheit und Öffentlichkeit gewarnt und es wird empfohlen, Veranstaltungen einzustellen.
- Für Twitter werden Sparschreibungen, Hashtags und Wiederholungen von Tweets empfohlen, aber vor Textverstümmelung gewarnt.
- Für Blogs emfehlen die Ratgeber eine regelmäßge Publikationsfrequenz, einen eigenen Stil des Autors/der Autorin mit einer authentischen, persönlichen Tonart, sowie einen Fokus auf ein bestimmtes Thema.
- Bei LinkedIn wird der Fokus insbesondere auf die Darstellung von Expertentum und Professionalität gelegt.
Fazit
Online-Texte werden in der Ratgeberliteratur als lebende, lebendige Texte dargestellt, die vor allem durch die Interaktion lebendig bleiben und mehr (emotional) „erlebt“ als gelesen werden sollen. Die Online-Texte der Ratgeberliteratur sind Texte in Bewegung. Leser und Leserin bewegen sich klickend und scrollend durch den Text, wie sie auch der Text emotional bewegen sollte.
Diese Form des Erlebens begünstigt, dass Leser und Leserinnen Texte teilen und dadurch sichtbar und auffindbar machen. Auch die Aufbereitung des Textes für Suchmaschinen durch Autoren/innen dient diesem Zweck. Autor/in und Leser/in bilden, laut Ratgeberliteratur, eine besondere Gemeinschaft, denn Leser/innen machen Text und Autor/in erst populär und die von der Ratgeberliteratur empfohlene, wenig elaborierte, emotionale Alltagssprache für Online-Texte dient als verbindendes Element. Dazu trägt auch bei, dass Autor oder Autorin aufgrund der Datenanalyse, aber auch aufgrund von Kommentaren, ihre Leser und Leserinnen sehr genau zu kennen glauben, ja sie manchmal sogar wie Freunde und Freundinnen betrachten.
In lockerer Folge veröffentlichen wir in den nächsten Wochen weitere Ergebnisse unseres Expertenworkshops vom 18. und 19. Juni 2018. Wir freuen uns über Diskussionsbeiträge! Was macht für dich einen guten Online-Text aus? Worauf legst du Wert, wenn du Texte im Netz liest oder veröffentlichst? Was stört dich besonders an schlechten Texten im Netz?