Woher stammt dieser Satz? – Die Ergebnisse der Assoziationsaufgabe

In zwei Posts haben wir bereits die Ergebnisse unserer Online-Studie zu mit „weil“ eingeleiteten Nebensätzen zusammengefasst und diskutiert. In der Studie haben wir den Teilnehmenden drei Aufgaben gestellt: Rezeption/Bewertung, Produktion und Assoziation. In diesem Post stellen wir die Ergebnisse der Assoziationsaufgabe vor und fassen alle Ergebnisse kurz zusammen.

Was bisher geschah…

  • Wir haben mit „weil“ eingeleitete Nebensätze mit Verbletzt-Stellung kontrastiert mit Verbzweit-Stellung und elliptischen Strukturen.
    • Verbletzt (Vletzt, Schriftstandard): „Sie hat gute Chancen auf den Job, weil sie die passende Ausbildung hat.“
    • Verbzweit (V2): „Sie hat gute Chancen auf den Job, weil sie hat die passende Ausbildung.“
    • Ellipse: „Sie hat gute Chancen auf den Job, weil Ausbildung.“
  • In beiden Aufgaben haben wir Printzeitungen mit WhatsApp-Textnachrichten kontrastiert, und es zeigte sich beide Male, dass an die Printzeitungen ein höherer sprachlicher Anspruch herangetragen wird.
  • Es zeigte sich außerdem, dass Weil-Nebensätze, die nicht dem Schriftstandard entsprechen (V2: „Sie hat gute Chancen auf den Job, weil sie hat die passende Ausbildung.“), auch in Textnachrichten als wenig angemessen gelten.
  • Wir haben das mit einem stark aktivierten Normbewusstsein bei den Befragten erklärt. Sie scheinen eine fast binäre Entscheidung zu treffen, die sich in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle am Schriftstandard orientiert. Die einfache Devise scheint zu lauten: Das finite Verb gehört in diesen Nebensätzen ans Ende – mit welchem Medium oder Register wir es zu tun haben, spielt dabei keine Rolle.
  • Als Vermutung haben wir in den Raum gestellt, dass dies daran liegen könnte, dass Weil-Nebensätze insbesondere im Gegensatz Verbletzt- vs. Verbzweit-Stellung ein recht prominentes Phänomen sind und daher den Teilnehmenden stark aufgefallen sind.
  • Wir konnten nur sehr schwache Hinweise darauf finden, dass in Textnachrichten andere Maßstäbe an die sprachliche Form angelegt werden und dass dort daher etwas als angemessen gilt, was in einer Printzeitung nicht toleriert würde.

Woher stammt dieser Satz? Die Assoziationsaufgabe

In den Bewertungs- und Produktionsaufgaben haben wir jeweils versucht, eine Printzeitung bzw. eine WhatsApp-Textnachricht zu imitieren, um deutlicher zu markieren, in welchem Kontext der Satz bewertet bzw. produziert werden soll. In der Assoziationsaufgabe würde eine solche Imitation keinen Sinn ergeben. Wir haben uns hier dafür interessiert, welchem Medium bzw. welcher Textsorte eine gegebene sprachliche Form zugeordnet wird – ein Medium vorzugeben wäre also verfälschend. Was die Teilnehmenden in der Assoziationsaufgabe sahen, war damit einigermaßen sparsam.

Screenshot der Assoziationsaufgabe, wie sie die Teilnehmenden sahen

Die Befragten konnten bei Bedarf auch mehrere Antwortmöglichkeiten ankreuzen, was die Auswertung zwar etwas komplexer macht, aber die sprachliche Realität unseres Erachtens besser abbildet. Der Satz, den die Teilnehmenden zuordnen sollten, wurde variiert. Neben einigen Füllsätzen, die vom eigentlichen Interesse der Studie ablenken sollten, wurden für jede Version (VletztV2, Ellipse) je drei unterschiedliche Sätze angezeigt. 119 Personen bearbeiteten die Aufgabe. Dabei wurden 1.071 (119 * 9) Sätze präsentiert. Insgesamt haben die Befragten 2.175 Auswahlen getroffen, was bedeutet, dass durchschnittlich ca. zwei Optionen ausgewählt wurden.

Ergebnisse

Wir können uns der Auswertung der Daten auf unterschiedliche Weisen nähern. In der einfachsten Variante schauen wir uns an, wie oft welche Textsorte in Abhängigkeit der Satzversion ausgewählt wurde.

Asso-Medium_X_Version_Anzahl

Wie oft wurden die verschiedenen Optionen ausgewählt in Abhängigkeit der Satzversion?

In dieser Abbildung deutet sich das Gesamtbild der Ergebnisse bereits an:

  • Für Zeitungen, Briefe/Postkarten und E-Mails dominiert die schriftstandardliche Variante Vletzt.
  • Soziale Netzwerke und die Textnachricht wurde mehrheitlich mit ellipstischen Strukturen assoziiert. Bei sozialen Netzwerken ist die Verteilung aber nicht sehr eindeutig.
  • Die Sprachnachricht als einzige medial mündliche Textsorte wurde auch als einzige mehrheitlich mit V2 assoziiert. Das ist interessant, weil diese Konstruktion auch häufig als mündliche Konstruktion beschrieben wird.

Mehr als rohe Häufigkeiten

Man muss bei dieser Auswertung roher Häufigkeiten allerdings etwas Vorsicht walten lassen, weil bei der Analyse der Antworten auch beachtet werden sollte, wie häufig eine Textsorte überhaupt ausgewählt wurde – unabhängig von der Version des Satzes. In einem sogenannten Mosaikplot lässt sich diese Information verwerten.

Mosaikplot für die Antworten in der Assoziationsaufgabe

Wie ist so ein Plot zu lesen? Von oben nach unten sind die Versionen angeordnet und von links nach rechts die verschiedenen Textsorten. Die Breiten und Längen der Vierecke sind immer proportional zur Anzahl der Fälle, die in die jeweilige Zeile/Spalte der Tabelle fallen. Man sieht zum Beispiel, dass „Zeitung“ insgesamt relativ selten angekreuzt wurde (denn die erste Spalte ist sehr schmal), dass – wenn sie angekreuzt wurde – das häufig bei der Schriftstandard-Version Vletzt der Fall war. Anders bei der Sprachnachricht (zweitrechteste Spalte): Diese wurde insgesamt recht häufig ausgewählt (die Spalte ist einigermaßen breit). Allerdings mehrheitlich in Fällen, wo den Personen ein Satz in V2 vorgelegt wurde, der „mündlichen“ Variante. Die Farben kodieren dann lediglich noch die statistische Signifikanz. Blau heißt, dass in der entsprechenden Zelle signifikant mehr Fälle gelandet sind als erwartet. Rot heißt, dass diese Zelle unterbesetzt ist – dass also weniger Leute hier ihr Kreuz gesetzt haben als unter einer gleichmäßigen Verteilung zu erwarten gewesen wäre. Wir sehen also folgendes:

  • Vletzt ist „überrepräsentiert“ für Zeitung, Brief/Postkarte und E-Mail.
  • V2 und Ellipse ist für die Zeitung und Briefe unterrepräsentiert – bei E-Mails gilt das nur für V2. Diese drei Textsorten scheinen also eine Gruppe zu bilden.
  • Soziale Netzwerke und die Textnachricht „verhalten“ sich ähnlich: In beiden ist die schriftstandardliche Vletzt-Variante verpönt (bzw. wird einfach weniger häufig assoziiert), während die Ellipse hier „ihren Platz“ hat (das gilt besonders für die Textnachricht).
  • Die Sprachnachricht fällt etwas aus dem Rahmen, denn sie ist die einzige Textsorte, in der die V2-Variante signifikant überrepräsentiert ist. Vletzt ist auch hier weniger häufig assoziiert worden als erwartet.

V2 wird als medial mündlich wahrgenommen

Noch eine letzte Analyse soll die Erkenntnisse untermauern, die wir bisher aus den Daten erhalten haben. Mit einer Korrespondenzanalyse versuchen wir, die verschiedenen Textsorten und die verschiedenen Satzversionen gleichzeitig in einem Koordinatensystem darzustellen. Dabei versucht der Algorithmus die Punkte so anzuordnen, dass sie die Ähnlichkeiten in den Antwortmustern bestmöglich darstellen. Je näher sich zwei Punkte sind, desto ähnlicher sind sie sich – und das gilt sowohl für Satzversionen als auch für Textsorten.

Asso-CA-gg

Korrespondenzanalyse für die Antworten in der Assoziationsaufgabe

Die Korrespondenzanalyse bestätigt unsere bisherigen Beobachtungen:

  • Die Textnachricht tendiert zur Ellipse. Die sozialen Netzwerke zwar ebenfalls, aber in geringerem Ausmaß.
  • Die Sprachnachricht tendiert ganz klar zur V2-Stellung und ist damit ziemlich alleine im Vergleich zu den anderen Textsorten.
  • Klar in Richtung Schriftstandard (Vletzt) tendieren die Zeitung, der Brief sowie die E-Mail.

Was wir aus der Online-Studie gelernt haben

Wir beschränken uns hier auf eine stichpunktartige Darstellung. Detaillierter werden wir unsere Schlussfolgerungen noch in einer entsprechenden Veröffentlichung darstellen. Die folgenden Punkte sehen wir aufgrund der Daten aus allen Aufgaben als einigermaßen gesichert an:

  • Durch die Wahl der sprachlichen Konstruktion (Weil-Nebensätze mit unterschiedlicher Verbstellung sowie einer elliptischen Struktur) haben wir offenbar das Normbewusstsein der Befragten sehr stark aktiviert. Dafür sprechen die durchweg schlechteren Bewertungen für die V2– und Ellipsen-Variante der Sätze. Ebenfalls dafür spricht, dass fast nur Vletzt-Varianten produziert wurden.
  • Diese Fixierung auf die Schriftnorm kommt höchstwahrscheinlich daher, dass Weil-Nebensätze sehr prominent im Diskurs über „korrektes“ Deutsch besprochen werden. Wir würden daher in einer potentiellen Nachfolgestudie ein anderes sprachliches Phänomen wählen, das weniger auffällig ist.
  • Die Kombination verschiedener Aufgaben hat gut funktioniert – allerdings waren es streng genommen einfach drei getrennte Experimente, da eine konkrete Person immer nur einer Aufgabe zufällig zugeordnet wurde. Es ist aber interessant zu sehen, wie sich die Ergebnisse der unterschiedlichen Aufgaben gegenseitig ergänzen.
  • Dass Varianten, die nicht dem Schriftstandard entsprechen, doch in einigen Fällen angemessen sein können, zeigt sich nur „versteckt“ in den Daten. Die wenigen V2– und vor allem Ellipsen-Varianten, die produziert wurden, wurden lediglich in Textnachrichten produziert – niemals jedoch im Zeitungskontext. Andere Hinweise haben wir in unserem ersten Ergebnis-Post bereits besprochen.
  • Die Assoziationsaufgabe fügt nochmal interessante Informationen hinzu. Da die V2-Variante so deutlich der Sprachnachricht (der einzigen medial mündlichen Textsorte in unserer Liste) zugeordnet wird, müssen wir davon ausgehen, dass für unsere Befragten das Prinzip der sprachlichen Angemessenheit weniger wichtig ist als die Zuordnung zu schriftlichem und mündlichem Medium. In Textnachrichten scheint – auch nach faktischer Abschaffung eines Zeichenlimits – die Kürze der Nachricht im Vordergrund zu stehen. Dafür sprechen teilweise die Ergebnisse der Produktionsaufgabe, aber auch dass die elliptischen Varianten der Textnachricht am nächsten stehen.
  • Es ist ganz interessant zu sehen, dass die E-Mail so stark mit der schriftstandardlichen Vletzt-Variante verbunden scheint. Diese Frage stand nicht im Mittelpunkt unseres Interesses, deshalb haben wir hier nicht weiter unterschieden, aber es wäre doch interessant zu sehen, wie sich das für E-Mails in verschiedenen sprachlichen Registern gestalten würde. Die These liegt nah, dass E-Mails an Freunde mit anderen sprachlichen Strukturen assoziiert werden als bspw. E-Mails in einem formell-geschäftlichen Kontext.

Zwei weitere Beiträge zu unseren Projektergebnissen folgen in den kommenden Wochen. Die anderen Blogposts sind hier zu finden:

Wir werden die Ergebnisse noch detaillierter aufarbeiten – diese Texte werden Open Access erscheinen, und wir werden in diesem Blog darauf hinweisen.

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