Im Arbeitsbereich „Modellbildung und Kategorienfindung“ unseres Projekts entwickelten wir ein Modell, das, wie ein Brückenschlag, „traditionelle“ Ansätze zur Textbewertung, wie das Zürcher Textanalyseraster, mit neuen Kategorien für die digitale Kommunikation verbindet. Dazu haben wir erstens traditionelle Kategorien, die auf monologische Texte bezogen waren, für die vernetzte, digitale Kommunikation erweitert und zweitens neue Kategorien gefunden. Diese Kategorien sind in unserem Analysemodell für digitale Texte dem Teilbereich „Mediale Passung“ zugeordnet. In diesem Blogpost beschreibe ich, wie wir die neuen Kategorien dieses Teilbereichs entdeckt und geordnet haben, die für soziale Medien relevant sind, und wie wir daraus einen Analyseleitfaden für Social-Media-Texte entwickelt haben.
Studie: Analyse von Schreibratgebern für Online-Texte
Wie sind wir dabei vorgegangen? Ausgangspunkt unserer Kategorienfindung war, wie bereits erwähnt, das Zürcher Textanalyseraster, das für die Analyse von Schüleraufsätzen erstellt wurde, in dem aber Qualitäten digitaler Kommunikation keine Rolle spielen. In einer qualitativen Studie haben wir mittels Inhaltsanalyse zwölf Ratgeber zur Social-Media-Kommunikation darauf untersucht, welche Aspekte unter die Kategorien des Zürcher Textanalyserasters (PDF) und welche Aspekte unter die neuen Bewertungskategorien für vernetzte, multimodale Texte jenseits des Zürcher Rasters fallen. Uns interessierte auch, wie wichtig diese Aspekte für die Texterstellung sind und welche davon insbesondere das Schreiben auf unterschiedlichen Social-Media-Plattformen, wie Facebook, Twitter, Instagram, Blog, Wikipedia, betreffen.
Ein Korpus von zwölf Ratgebern wurde nach den folgenden Kriterien zusammengestellt, von denen mindestens zwei erfüllt sein mussten:
- Aktualität: Veröffentlichung ab 2014
- Die Ratgeber sollten nicht nur technische Ratschläge, sondern auch konkrete Ratschläge zum Schreiben von Texten erteilen.
- Die Ratgeber sollten unterschiedliche Plattformen berücksichtigen.
Kategorienfindung und Anwendung des Kategorienrasters in zwei Schritten:
Der erste Schritt der Studie diente der Erschließung und Öffnung des Materials und der Begriffs- und Kategorienfindung. Nach einer Probeanalyse von drei Ratgebern wurden neue Kategorien von einer Kodiererin definiert und von den zwei weiteren Kodiererinnen an je einem dieser Ratgeber auf Verständlichkeit und Anwendbarkeit geprüft. Anschließend wurden die Ergebnisse im Team diskutiert. Auf dieser Basis wurde das endgültige, verbesserte Kategorienraster, bestehend aus dem Zürcher Raster und den neuen Kategorien, mit den entsprechenden Leitfragen festgelegt und ein Annotationshandbuch erstellt. Aufgrund der Komplexität des Zürcher Textanalyserasters wurde nur ein verschlanktes Zürcher Raster inklusive der dort aufgeführten Erläuterungen in das neue Raster aufgenommen.
Der zweite Schritt bestand in der Anwendung des Analyseinstrumentariums. Ein Leitfaden zur Kodierung wurde erstellt und die Kodiererinnen geschult, um die Interkodier-Reliabilität zu gewährleisten, also um zu gewährleisten, dass alle beteiligten Mitarbeiterinnen unter den Kategorien auch das Gleiche verstehen. Die Textstellen in den Schreibratgebern wurden den entsprechenden Kategorien zugeordnet und dann als Belege unter der jeweiligen Kategorie im Raster eingetragen. Pro Schreibratgeber wurde ein Raster als Dokument angelegt. Zweifel konnten ebenfalls notiert werden und wurden im Team diskutiert.
Ergebnisdarstellung
In der abschließenden Ergebnisdarstellung wurden die Belegstellen aller Ratgeber zu einer Kategorie unter Angabe der jeweiligen Titelkürzel der Ratgeber und der Seitenzahlen zusammengeführt und nebeneinander betrachtet, um den Rückbezug der Ergebnisse auf die Fragestellung besser gewährleisten zu können. So wurde erkennbar, welche Kategorien und Unterkategorien besonders häufig, weniger häufig oder sogar kaum von den Ratgebern erwähnt wurden. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Ratgebern konnten ebenfalls in diesem Arbeitsschritt festgestellt werden.
Auffällig war, dass verschiedene Kategorien des Zürcher Textanalyserasters wie z.B. Sprachsystematische/orthographische Richtigkeit der Sprachmittel, aber auch ästhetische Angemessenheit kaum Erwähnung in den Ratgebern fanden, manchmal sogar als unwichtig oder zweitrangig bezeichnet wurden. Andererseits wurden Kategorien wie die Suchmaschinenoptimierung oder die Glaubwürdigkeit sehr häufig behandelt. Lesen Sie dazu auch unseren Blogbeitrag zur Studie.
Ergebnisauswertung und Erstellen eines Analyseleitfadens für Social-Media-Texte
In einem weiteren Arbeitsschritt wurde Forschungsliteratur zur Textsorte des Ratgebers sowie zu den einzelnen neuen Kategorien in die Ergebnisauswertung miteinbezogen. Auf dieser Grundlage wurden die neu gewonnenen Kategorien überprüft und verfeinert. Unser Ziel war es, mit den neuen Kategorien einen Analyseleitfaden nach dem Modell des Zürcher Rasters für die Analyse von Social-Media-Texten zu erstellen. Einige Kategorien, die nur selten erwähnt worden waren, wie z.B. juristischer Content, fielen aus dem Leitfaden heraus. Andere Kategorien oder Unterkategorien, wie z.B. die Funktion multimodaler Elemente im Text, wurden in „Position multimodaler Elemente“ und „Multimodales Erzählen“ unterteilt. Die Plattformspezifik, die im Analyseraster noch dem Punkt B1 des Zürcher Rasters untergeordnet gewesen war, wurde eine eigene neue Kategorie zugewiesen. Die Kategorie Darstellungsflexibilität wurde, ähnlich dem Zürcher Modell, als Kategorie 0 „Ausgangssituation der Analyse“ in den Analyseleitfaden mit aufgenommen. Probeanalysen wurden zunächst an einem ausgewählten, prämierten Blog und schließlich von Studentinnen an weiteren Social-Media-Texten durchgeführt. Ein erweiterter Analyseleitfaden mit leicht veränderten Kategorien wurde erstellt, die in unserem Modell den Teilbereich „Mediale Passung“ abdecken. Der Analyseleitfaden kann z.B. an Schulen und Universitäten angewendet werden. Der Leitfaden enthält die folgenden Kategorien:
Der Analyseleitfaden
0. Ausgangssituation der Analyse
Welcher Browser, welcher Bildschirm wurde verwendet? Ist ein Werbeblocker im Einsatz?
1. Plattformspezifik
Welche typischen Merkmale hat die Plattform? Wer ist der Anbieter? Welche Textlänge ist angemessen? Gibt es eine Zeichenbeschränkung? Welche multimodalen Elemente können eingebunden werden? Gibt es nennenswerte Abweichungen vom Prototypen? Wie sind die Texte angeordnet und welche Besonderheiten hat die Plattform? Wie wird der untersuchte Text auf anderen Plattformen dargestellt bzw. eingeführt?
2. Einbettung des Textes in die Website
Was ist above-the-fold sichtbar, d.h. was ist auf dem Bildschirm sichtbar, wenn wir die Seite aufrufen (Titel, Menu etc.)? Wie ist der Text in die Webseite der Plattform eingebettet? Wie ist die Lesbarkeit? Welches Design wurde verwendet? Gibt es Werbung? Wie wird die Kohärenz sichergestellt? Welche intertextuellen Bezüge gibt es zwischen dem Post, also dem zu untersuchenden Einzeltext, und der Webseite der Plattform? Wie sind Footer und Sidebar aufgebaut?
3. Multimodalität
Welche Qualität haben die Videos, Audios und Fotos? Wie ist z.B. die Auflösung und Farbgebung des Fotos? Welche Metadaten (die kurzen Texte, die das Foto als Hintergrundinformation enthält) können wir erkennen? Welches Programm wurde zur Bildbearbeitung genutzt? Welche Keywords wurden verwendet?
Welchen Stellenwert hat das multimodale Element in der Textfläche? Wie passt es thematisch zum Text und zu anderen multimodalen Elementen? Welcher Aspekt der Gesamtbotschaft wird betont?
4. Interaktion
Sind Kommentare/Antworten zugelassen? Worauf beziehen sie sich? Welche Angaben muss der Kommentierende dabei machen? Werden die NutzerInnen aufgefordert, Kommentare zu hinterlassen? Wurden Kommentare geschrieben und wurden diese beantwortet?
Sind Interaktionen mit anderen Blogs/Accounts erkennbar? Gibt es wechselseitige Empfehlungen? Werden UserInnen zu anderen Interaktionen, z.B. zur Beteiligung an Umfragen, aufgefordert?
5. Schnelligkeit
Wie häufig wird veröffentlicht? Wie aktuell sind die Texte? Gibt es Hinweise darauf, dass die Texte schnell geschrieben wurden oder aber schnell gelesen werden können (z.B. Angabe der Lesezeit etc.)?
6. Vernetzung und Verlinkung
Wie sind die Links gestaltet? Gibt es sprechende Links? Sind Keywords in der URL enthalten?
Gibt es Social-Media-Buttons zu weiteren Plattformen? Wie oft wurde der Text bereits geteilt? Welche anderen Plattformen nutzt die Autorin/der Autor? Gibt es Hinweise darauf? Ist die Anzahl der Follower erkennbar? Sind sog. Keyinfluencer (d.h. bekannte NutzerInnen einer Plattform mit vielen eigenen Followern) unter den Followern erkennbar? Gibt es Angaben zu einer Offline-Vernetzung im realen Leben?
7. Gefunden werden/SEO/Datenanalyse
Welche Keywords, Tags, Hashtags und Teaser wurden verwendet? Wie leicht und auf welcher Position lässt sich der Text bei Google finden? Lassen sich Metadaten erkennen (z.B. Schlagwörter bei Blogs, die extra für die Suchmaschinenoptimierung erstellt wurden)? Welche Backlinks gibt es? Gibt es einen Hinweis auf die Datenauswertung durch die Autorin/den Autor?
8. Professionalität/Authentizität
Auf welche Art und Weise versucht der Produzent/die Produzentin glaubwürdig zu erscheinen? Wie werden Professionalität und Authentizität dargestellt? Wird ein emotionaler Wortschatz verwendet? Wie ist die Autorin/der Autor erreichbar?
Von den Leitfragen des Analyseleitfadens konnten hier nur einige aufgeführt werden. Genauere Ergebnisse, darunter auch den vollständigen Analyseleitfaden, veröffentlichen wir Anfang 2020 Open Access. Wir werden Sie über die Veröffentlichung in unserem Blog informieren.
Unser Analyseleitfaden ist der erste seiner Art, der, ähnlich dem Zürcher Textanalyseraster für Schülertexte, für die Analyse von Social-Media-Texten unterschiedlicher Plattformen genutzt werden kann. Die neu gewonnenen Kategorien des Leitfadens gehören zum Teilbereich „Mediale Passung“ im von Angelika Storrer beschriebenen Analysemodell für digitale Texte (vgl. dazu den Blogpost zum Modell). Wir haben diese neuen Kategorien bereits mit ExpertInnen auf unserem Expertenworkshop getestet. Dennoch erhebt unser Leitfaden keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann noch erweitert werden. Wir sind immer dankbar für weitere Anregungen als Kommentar oder per Mail. Lesen Sie auch alle anderen Blogposts in unsere Reihe mit Projektergebnissen in diesem Blog.
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